Dass durch Verkehr verursachte hohe Schadstoffkonzentrationen gesundheitsschädlich sind, ist zwar wissenschaftlich unbestritten, aber der Nachweis dazu wurde bisher weitgehend über epidemiologische Studien, d.h. durch statistisch gestützte Langzeituntersuchungen erbracht. Studien über die akute, d.h. kurzfristige gesundheitliche Wirkungen von Schadstoffen in solchen Konzentrationen, wie sie vor allem in Städten an verkehrsreichen Straßen üblich sind, gibt es wenige.

Ein wesentlicher Grund liegt darin, dass es aus ethischen Gründen nicht zu vertreten ist, Menschen in Laborversuchen gezielt  Verkehrsschadstoffen auszusetzten. Wie kritisch dieses Thema von der Öffentlichkeit gesehen wird, hat man gerade bei der Diskussion über die von einer Lobbyorganisation der deutschen Autoindustrie beauftragten Studien mit Affen - und Menschenversuchen gesehen.

Leider führte dies bisher dazu, dass selbst manche Mediziner akute schädliche Wirkungen dieser Schadstoffe anzweifelten.  Zur Erinnerung: Selbst unser Grün- geführtes Gesundheitsministerium hatte nach dem letzten Winter (2017/2017) den Verdacht, dass der damalige enorme Anstieg von Atemwegs- und Herz/Kreislauferkrankungen und die damit verbundenen hohe Todesraten in Stuttgart an den hohen Schadstoffwerten lag, als 'Spekulation' bezeichnetet. Ich hatte ja festgestellt, dass es eine Korrelation zwischen den hohen Schadstoffkonzentrationen des letzten Winters und den Atemwegserkrankungen gab und ein Papier dazu geschrrieben. Siehe der Beitrag dazu hier.

Nun hat eine britische Studie nachgewiesen, dass schon eine kurzzeitige Exposition von Verkehrsschadstoffen bei über 60-jährigen Menschen deutliche Wirkung auf Herz-Kreislauf-Kranke auf Lungen-Kranke hat. Besonders kritisch werden in der Studie die Ultrafeinstäube und der Dieselruß gesehen. Die grundsätzliche Methode ist so simpel, dass sie in jeder Großstadt dieser Welt angewandt werden kann und daher auch leicht verifizierbar ist.  Man hat einfach verschiedene Gruppen von Menschen über 60 in London zum einen in der Oxford-Street und zum anderen im Hyde-Park 2 Stunden spazieren gehen lassen. Sowohl die Schadstoffkonzentrationen mit allen relevanten Parametern als auch die typischen Gesundheitsfunktionen wurden sehr genau gemessen. Bei den Ultrafeinstäuben z.B. bis hinunter auf eine Partikelgröße von 10 Nanometer, d.h. um 10 nm weiter runter als die Dieselfilter gemäß der derzeit gültigen EU-Norm funktionieren sollen (bis zu 20 nm). Es wurde auch die Zusammensetzung dieser Feinstäube ermittelt und berücksichtigt. Ebenso Lärm.

Bei der Studie spielte die größte Feinstaubfraktion PM10 kaum eine Rolle. Der Referenzwert bei Feinstaub ist in der Studie PM2,5, d.h. die kleinere Fraktion von Feinstäuben. Natürlich wurde auch der Partikelanzahl der Ultrafeinstäuben in die Studie einbezogen. Dies ist deshalb wichtig, weil in Deutschland derzeit beide Größen in der öffentlichen Diskussion praktisch keine Rolle spielen. Auch Dieselruß (Black Carbon) wird kaum mehr gemessen. Deutschland hinkt hier inzwischen anderen Ländern hinterher.

Die Werte an der Oxford Street waren für die Verkehrsmenge dort normal, zumal man die Studie im Sommerhalbjahr durchgeführt hat, d.h. in einer relativ schadstoffarmen Jahreszeit. An den Hauptverkehrsstraßen in Stuttgart haben wir zur dieser Jahreszeit normalerweise ähnliche Werte. Sogar in Leonberg könnten wir zumindest im Winter unter ähnlichen Bedingungen testen. An der Autobahn sogar das ganze Jahr über. Das folgende Bild zeigt die Konzentrationen:

 

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Nun könnte man natürlich einwenden, dass Menschen über 60 Jahren nicht repräsentativ sind, aber zum einen haben sie einen erheblichen Anteil an der Bevölkerung zum anderen muss man ja auch sehen, dass Kinder noch empfindlicher auf Schadstoffe reagieren und vorbelastete Kranke jeden Alters vermutlich ähnlich reagieren können. Darüber hinaus hat man auch bei der Gruppe der Gesunden eine leichte Reaktion auf Ultrafeinstäube und Dieselruß festgestellt.  

Es stellt sich die Frage: Welche Ergebnisse hätte wohl eine solche Untersuchung bei einer Smoglage in Stuttgart gebracht, so wie sie im letzten Winter Ende Januar flächenhaft auftrat?  Warum ist bisher noch niemand in Deutschland auf die Idee einer solchen Untersuchung gekommen? Und: Ethisch gesehen kann man wohl kaum Einwendungen gegen die verwendete Methode haben. Denn es kann ja nicht sein, dass es in unseren Städten für einzelne Bevölkerungsgruppen 'Verbotenen Zonen'  geben darf. Außerdem dient eine solche Studie einem wichtigen gemeinnützigen Zweck und nicht z.B. dem Gewinnstreben (bzw. Reinwaschung) von Unternehmen.  

Um die gesamte Studie einsehen zu können, muss man sich auf The Lancet registrieren.

Übrigens: Wie sehr Deutschlands internationaler Ruf zum Thema Gesundheit und Klimaschutz  inzwischen Schaden genommen hat kann man aus einem weiteren Artikel in The Lancet sehen:

Germany's delayed coal phase-out and respiratory health

Und hier nochmals der Link auf die London-Studie:

Walking to a pathway for cardiovascular effects of air pollution