Auszug aus dem Protokoll der Bundesratssitzung vom Freitag 1.Februar 2013 (Plenarprotokoll 906)

 

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 15:

Elftes Gesetz zur Änderung des Bundes-Immis­sionsschutzgesetzes (Drucksache 11/13)

Ich erteile zunächst Minister Hermann (Baden-Württemberg) das Wort.

Winfried Hermann (Baden-Württemberg): Frau Prä­sidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verkehrslärm, insbesondere Schienenlärm, ist in den vergangenen Jahren zunehmend zum Problem ge­worden. Alle Länder machen die Erfahrung, dass sich die Menschen überall an großen Eisenbahntrassen darüber beschweren, dass dieser Lärm schier uner­träglich ist. Das hören wir immer wieder.Aus politischen Gründen wäre es eigentlich wün­schenswert, dass mehr Verkehr auf die Schiene ver­lagert wird, dass noch mehr Güterzüge fahren. Das Problem ist, dass gerade sie besonders laut sind. Die­ses Problem müssen wir angehen.

Was ist der Stand der Dinge? Wir haben heute die gesetzliche Situation, dass es einen Schienenlärm­bonus gibt. Das muss man normalen Leuten erst ein­mal erklären! Das ist sozusagen eine Sonderregelung für den Schienenverkehr, entstanden in den 70er Jahren, pseudowissenschaftlich begründet mit der Annahme, die Menschen empfänden Schienenlärm als nicht so problematisch wie anderen Verkehrs­lärm. Deswegen hat man gesagt: 5 Dezibel mehrkann man ertragen. – Nun: Wenn sehr laute Züge sel­ten fahren, kann man sie tatsächlich ertragen. Wenn aber an Hauptverkehrsachsen Güterzüge im Zwei- oder Dreiminutentakt an den Häusern entlangfahren, ist das unerträglich, vergleichbar mit dem Leben auf einer Startbahn.

Insofern ist es nicht mehr angemessen, Lärm mit zweierlei Maß zu messen. Die Schienenbonusrege­lung ist quasi ein Schutz des Schienenlärms vor den Bürgern, nicht Schutz der Bürger vor dem Schienen­lärm. Wir halten das für nicht mehr tragbar.

Es hat lange gedauert im politischen Raum, bis alle Fraktionen anerkannt haben, dass die alte Begrün­dung nicht mehr taugt. Die Wissenschaft hat uns Poli­tikern das übrigens schon vor 10 bis 15 Jahren ge­sagt. Hier besteht deutlicher Nachholbedarf, es muss etwas geschehen. Es kann nicht sein, dass der Lärm aus unterschiedlichen Quellen unterschiedlich be­handelt wird. Er muss einheitlich behandelt werden.

Wir müssen inzwischen Lärmaktionspläne im Sinne der EU machen. Dort wird nach einheitlichen Maßstäben gemessen. Am Ende wird aber doch nicht Gleiches mit Gleichem verglichen, sondern man sagt: Die Werte zählen anders, weil der Schienenlärm ent­halten ist.

Die Koalition hat nach drei Jahren eingelöst, was sie versprochen hat. Sie wollte das Problem angehen und den Schienenlärmbonus abschaffen. Der Vor­schlag der Bundesregierung ist allerdings in doppel­ter Hinsicht unzulänglich.

Es wird zwar behauptet, dass der Schienenbonus abgeschafft wird, faktisch ist die Abschaffung aber weit in die Zukunft geschoben worden. Genauer ge­sagt gibt es noch nicht einmal einen Termin. Die Re­gelung lautet: Erst kommt ein neuer Bundesver­kehrswegeplan. Wir alle wissen, dafür gibt es noch keinen Termin. Der alte Plan läuft bis 2015. Man weiß nicht, wie lange es dauert, bis es einen neuen gibt; letztes Mal hat es drei Jahre Verzögerung gegeben. Erst danach gibt es ein Schienenwegeausbaugesetz, worauf das dann basiert. Man kann also sagen: Vor 2016 oder 2017 läuft mit Sicherheit nichts.

Dann ist es so, dass nur Verfahren, mit denen noch nicht begonnen worden ist, unter die neue Regelung fallen. Damit will ich auf ein zweites Problem hinwei­sen:

Dieses Aufschieben des Termins ist der Grund da­für, dass nirgendwo ein Planfeststellungsverfahren für ein Projekt, das man nicht unbedingt haben will, begonnen wird. Man muss dann ja mit den alten Werten arbeiten und kann nur die alten Zuwendun­gen zu Lärmschutz erhalten, die durch den Schienen­bonus noch abgedeckt sind.

Wir können es im Ernst nicht wollen, dass ein Ver­fahren gewählt wird, das dazu führt, dass beim Schienengüterverkehr keine Ausbaumaßnahmen durchgeführt werden. Wir alle wollen doch, dass mehr Güter auf die Schiene verlagert werden. Dann müssen wir den Anreiz setzen, dass durch neue Re­gelungen erträgliche Neubaumaßnahmen und Tras­sen gebaut werden.

Ein Weiteres ist problematisch. Diese Regelung be­zieht sich ausschließlich auf Maßnahmenpläne. Nur das, was im Bundesschienenwegeausbauplan enthal­ten ist, ist durch die Neuregelung geschützt. Alle üb­rigen Schienentrassen sind außen vor. Auch das ist völlig unzulänglich.

Hinzu kommt: Die Regelung wird dazu führen, dass auch die Lärmsanierung nach diesem Verfahren verläuft. Die Ansprüche der Bürgerinnen und Bürger werden entsprechend abgeschwächt beziehungs­weise kommen später. Auch beim Bestand wird es zu keiner Verbesserung kommen.

Überdies muss man sagen, dass das Lärmsanie­rungsprogramm der Bundesregierung mit jährlich 100 Millionen Euro gemessen an dem, was ansteht, völlig unzulänglich ist.

Ich will aber nicht so tun, als ginge es allein um Lärmschutz im Nachhinein. Natürlich müssen wir auch Maßnahmen befördern, die den Lärm an der Quelle bekämpfen. Dazu zählen die sogenannten K-Sohlenund LL-Sohlen. Das sind neue leise technische Ver­fahren, wodurch weniger laut gebremst wird und die Räder geschont werden.

Wir brauchen lärmabhängige Trassengebühren,wodurch lärmarme Güterwaggons besser behandelt werden als laute Waggons. Nun haben wir seit De­zember das neue System. Es ist aber so angelegt, dass es keinen Anreiz bietet, nachhaltig und schnell umzurüsten. Auch hier ist zu wenig getan worden.

Wenn wir nichts tun, kommen wir auf Dauer nicht umhin, ab 2021 in besonders belasteten Regionen nächtliche Durchfahrtsverbote für nicht umgerüstete Züge zu erlassen. In der Schweiz tut man das. Dort geht man in dieser Hinsicht überhaupt weit voraus.Man macht sehr deutlich: Man kann die Waggons umrüsten, und man kann andere Waggons fahren lassen. Güterzüge müssen nicht laut sein. Es gibt heute schon Züge, die vergleichbar leise wie ICEs oder Nahverkehrszüge sind.

Hier ist richtig viel zu tun – im Sinne einer anderen Verkehrspolitik, die Verlagerung ermöglicht.

Meine Damen und Herren, die Länder haben dem Bund über Jahre hinweg Vorschläge gemacht und Verbesserungen angemahnt. Wir haben uns nicht verständigen können. Deswegen können wir dem Gesetz der Bundesregierung auf keinen Fall zustim­men. Ich bitte Sie, für die Anrufung des Vermitt­lungsausschusses, insbesondere für Ziffer 1, zu stim­men. – Vielen Dank.

Amtierende Präsidentin Dr. Angelica Schwall-Düren: Vielen Dank, Herr Minister Hermann!

Ich erteile Staatsministerin Conrad (Rheinland-Pfalz) das Wort.

Margit Conrad (Rheinland-Pfalz): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir be­grüßen es ausdrücklich, dass sowohl der Bundestag als auch der Bundesrat bereits grundsätzlich be­schlossen haben, dass der Schienenbonus abzuschaf­fen ist.

Die Privilegierung des Bahnlärms gegenüber dem Lärm von anderen Verkehrsträgern durch einen pau­schalen Abzug von 5 dB(A) – oder umgekehrt: eine um 5 dB(A) größere Lautstärke ist zulässig – ist auf der Grundlage neuerer Forschungsergebnisse nicht mehr zu begründen und der Bevölkerung schon gar nicht mehr zu vermitteln. Das ist auch mit dem legi­timen Schutzanspruch der von Bahnlärm geplagten Bevölkerung nicht weiter vereinbar.

Der nächtliche Güterzugverkehr ist die Achilles­ferse des ansonsten gerade aus der Sicht des Um­weltschutzes zu fördernden Bahnverkehrs. Wir sind uns alle einig, dass möglichst viel Personen- und Gü­terverkehr von der Straße und aus der Luft auf die Schiene verlagert werden muss.

Der Schienenbonus hat maßgeblichen Anteil an der Lärmproblematik. Es ist im Sinne der Bahn, ihn schnellstmöglich abzuschaffen; denn neue Bahnstre­cken müssen von der Bevölkerung akzeptiert werden können. Allerdings haben auch die Betroffenen an den bestehenden Bahnstrecken – das soll hier nicht zu kurz kommen – das Recht auf anständigen Lärm­schutz.

In der Begründung des Gesetzentwurfs wird zu Recht auf die erheblichen Gesundheitsgefahren hin­gewiesen, die gerade auf Grund der Störung der Nachtruhe durch laute Güterzüge an vielbefahrenen Strecken bestehen. Die Abschaffung des Schienen­bonus wird aus gutem Grund als notwendiger Bestandteil der Verbesserung des Schutzes der Be­völkerung vor Schienenverkehrslärm bezeichnet – in Ihrem eigenen Gesetzentwurf!

Umso unverständlicher ist es, dass das Gesetz die Abschaffung des Schienenbonus über eine Stichtags­regelung zu lange hinauszögert. Genau genommen ist das Datum gar nicht bekannt, da sie mit der Auf­stellung des nächsten Bedarfsplans verknüpft wird. Das kann auch 2017 oder später sein.

Die Abschaffung gilt dann auch nur für Planungen, bei denen bis zu diesem Zeitpunkt Planfeststellungs­verfahren noch nicht eröffnet sind. Berücksichtigt man Planungs- und Bauphasen, gehen damit voraus­sichtlich noch weit nach 2020 Strecken dauerhaft in Betrieb, bei denen der Schienenbonus bei der Pla­nung von Lärmminderungsmaßnahmen noch berück­sichtigt wurde. Um es deutlich zu sagen: Sie sind dann bereits bei Inbetriebnahme ein Sanierungsfall.

Es kann auch nicht sein, dass sich die Bevölkerung erst organisieren und protestieren muss, damit bei Planungen niedrigere Lärmschutzwerte berücksich­tigt werden – was Gott sei Dank passiert. Hier be­steht eine Ungleichbehandlung. Es ist nicht akzepta­bel, dass man die Menschen auf 2020 und später vertröstet. Allenfalls für Planungen, für die das Ver­fahren sehr weit fortgeschritten ist, ist Vertrauens­schutz für die Bahn notwendig. Darüber kann man noch reden.

Wir wollen den Vermittlungsausschuss anrufen. Wir bedauern, dass das notwendig ist. Ziel ist die schnellstmögliche Abschaffung des Schienenbonus, spätestens ab 1. Januar 2015, um dem Lärmschutz­bedürfnis der Bevölkerung gerecht zu werden. Gleichzeitig soll durch eine vernünftige Übergangs­regelung den berechtigten Interessen der Vorhaben­träger Rechnung getragen werden; das ist selbstver­ständlich.

Die vom Bund vorgesehene Abschaffung des Schienenbonus greift bisher lediglich bei neuen und wesentlich geänderten Strecken. Der Bevölkerung an Bestandsstrecken hilft sie zunächst einmal nicht. Wir alle wissen, dass es nicht nur im Mittelrheintal in Rheinland-Pfalz und Hessen, sondern auch an ande­ren Bahnlärm-Hotspots mehr als 100 Züge mit teil­weise über 100 dB(A) pro Nacht gibt. Der Schienen­bonus – das ist eine ergänzende Bitte – muss deshalb auch dort abgeschafft werden.

Das Lärmsanierungsprogramm des Bundes muss selbstverständlich angepasst werden. Alles andere wäre eine Mogelpackung. Auf die notwendige Aus­stattung mit investiven Mitteln ist bereits hingewie­sen worden.

Auch ich will zum Schluss darauf hinweisen, dass wir damit natürlich nicht am Ende sind oder unsere Hausaufgaben gemacht haben. Sie wissen, dass wir im Bundesrat zum Beispiel zum Gesetz zur Neuord­nung der Regulierung im Eisenbahnbereich ein Bündel von Maßnahmen vorgeschlagen haben. Ich erinnere nur an die notwendige Umrüstung der Gü­terzüge auf lärmarmes Equipment und daran, dass wir eine Betriebsbeschränkung in Aussicht stellen und sie bis 2020 fixieren müssen. Vor allen Dingen müssen lärmabhängige Trassenpreise endlich umge­setzt werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, was das vorliegende Gesetz betrifft, bitte ich, wie mein Vor­redner, darum, dass wir uns durch die Anrufung des Vermittlungsausschusses die Option offenhalten, bei Neubau und Sanierung von Bahnstrecken im Inte­resse sowohl der Bevölkerung als auch der Bahn zeit­nah andere Werte zu bekommen. – Vielen Dank.

Amtierende Präsidentin Dr. Angelica Schwall-Düren: Vielen Dank, Frau Staatsministerin Conrad! Meine Damen und Herren, die Ausschüsse emp­fehlen die Anrufung des Vermittlungsausschusses aus mehreren Gründen. Ich frage zunächst, ob allge­mein ein Vermittlungsverfahren gewünscht wird. Ihr Handzeichen bitte! – Das ist die Mehrheit.

Wir stimmen nun über die einzelnen Anrufungs­gründe ab. Aus den Ausschussempfehlungen rufe ich auf:

Ziffer 1! – Minderheit.

Ziffer 2! – Mehrheit.

Ziffer 3! – Mehrheit.

Ziffer 4! – Minderheit.

Ziffer 5! – Minderheit.

Ziffer 6! – Minderheit.

Ziffer 7! – Minderheit.

Damit hat der Bundesrat den Vermittlungsaus­schuss, wie soeben beschlossen, angerufen.