Ein persönlicher Bericht über die öffentliche Anhörung des Verkehrsausschusses zur neuen Berechnungsvorschrift Schall03
Aktualisiert: Link auf Wortprotokoll und falsche Linkadressen
Am Mittwoch, 4.6.2014 hatte ich die Gelegenheit, an der Sitzung des Verkehrsausschusses des Bundestags in Berlin teilzunehmen. Auf der Tagesordnung stand eine Experten- Anhörung zur Novellierung der Bahnlärmschutzvorschrift ‘Schall03‘.
Diese Vorschrift ist Bestandteil der 16. BImSchV und regelt die Art und Weise, wie der Schienenlärm berechnet wird und damit welche Lärmschutzmaßnahmen ein Anwohner bekommt, wenn er zum erlauchten Kreis derjenigen gehört, die darauf einen Anspruch haben, z.B. bei einem Planfeststellungsverfahren.
Die meisten betroffenen Bürger haben als Anlieger einer Bestandsstrecke keinen gesetzlichen Anspruch auf Lärmschutz. Es gibt lediglich ein freiwilliges Lärmschutzprogramm des Bundes mit viel höheren Grenzwerten und langer Warteliste. Wenn wir hier in Leonberg an der Reihe sind, wird wohl auch diese Vorschrift angewandt.
Die bisher gültige Fassung stammt noch aus dem Jahre 1990 und ist veraltet. Seit vielen Jahren wird nun an einer neuen Vorschrift herumgedocktert. Dies geschah so, wie es in der Bahnbranche Brauch ist: Meistens im stillen Kämmerlein. Schließlich hat man seit Bundesbahnzeiten eine Art Gewohnheitsrecht darauf, dass man die Vorschrift ‘unter sich‘ ausarbeiten darf.
Eigentlich war diese Anhörung gar nicht vorgesehen, denn Minister Dobrindt hatte bereits die Novellierung eingebracht und sie sollte im Eiltempo durch den Bundestag gepeitscht werden. Den Fraktionen ging dies aber wohl doch etwas zu schnell und so wurde kurzfristig der Anhörungstermin angesetzt.
Allerdings war schon kurz nach der Begrüßung durch den Vorsitzenden klar, wo der Hase lang läuft. Er übergab das Wort rasch an einen Vertreter der CDU-Fraktion, der sofort sinngemäß erklärte, dass wenn es nach seiner Fraktion gegangen wäre, diese Anhörung gar nicht notwendig gewesen wäre. Die erste Expertenfrage ging dann an das Eisenbahnbundesamt (EBA), die Behörde also, welche für die Ausarbeitung der Schall03 verantwortlich ist. Logischerweise lobte der Vertreter dieser Behörde seine neue Schall03 in höchsten Tönen. Mit dem vorliegenden Entwurf sei es gelungen, einen Interessensausgleich zwischen den betroffenen Bürgern und dem Bund zu schaffen, endlich sei innovativer Lärmschutz möglich und er schaffe wieder Rechtssicherheit für seine Behörde.
Damit war für mich klar: Zumindest die größte Regierungsfraktion erwartete von der Anhörung allenfalls eine Bestätigung für den vorgelegten Entwurf. Und der Begriff ‘Interessensausgleich‘ klingt ja schön, bedeutet aber im Klartext wohl ganz banal, dass es dem EBA gelungen ist, dass die neue Berechnungsvorschrift den Bundeshaushalt und die Transportbranche nicht mehr kostet als die alte.
So weit, so schlecht. Die leise Hoffnung, dass sich unsere Volksvertreter vielleicht doch ernsthafter als bisher ihre Hauptaufgabe wahrzunehmen und die Interessen ihrer Bürger in den Prozess einzubringen, war bereits nach dem Auftakt weitgehend dahin.
Denn beim Lärmschutz kann es für die Bürger nur einen Grundsatz geben: Alle Anwohner von Verkehrswegen müssen vor den gesundheitlichen Folgen jeder Art von Verkehrlärm und in gleicher Weise geschützt werden. Das bisher der Lärmgesetzgebung zu Grunde liegende Bild der ‚Lästigkeit‘ des Lärms, für die man einen Kompromiss aushandeln kann, ist veraltet und entspricht nicht mehr dem Stand der Wissenschaft. Es geht um die Gesundheit der Bürger und diese kann keiner Abwägung unterliegen. Auch darf es keine Unterscheidung zwischen ‚Berechtigten‘ (Neubau) und ‚Nicht Berechtigten‘ (Bestand) und den verschiedenen Lärmarten geben. Statt sich endlich darauf zu konzentrieren die Lärmgesetzgebung in diesem Sinne anzupassen, will man wieder einmal nur einen Teilbereich der Gesamtthematik verschlimmbessern und hofft die nächsten 20 Jahre damit weiterwursteln zu können.
Der Verordnungsgeber selbst bestätigt dies mit entwaffnender Offenheit durch sein Statement zur Nachhaltigkeit:
Zitat::„Ein Beitrag zur Verbesserung der Nachhaltigkeitsindikatoren kann nicht quantifiziert werden. Dies ist einerseits dadurch begründet, dass die Verordnung weitgehend bereits bestehende Grundsätze zum Lärmschutz inhaltlich beibehält und nur neuere Erkenntnisse zur Ermittlung des Lärms fortschreibt. Andererseits sind Folgen des Lärmschutzes auf die Nachhaltigkeitsindikatoren (z. B. Gesundheit, Sicherung der Mobilität) nur mittelbar wirksam.“
Die kritischen Fragen im weiteren Verlauf kamen, wie es im parlamentarischen Rollenspiel Brauch ist, hauptsächlich von der Opposition und bezogen sich meist auf technische Details. Die Experten konzentrierten sich auf ihr jeweiliges Fachgebiet. Ihre in der Summe durchaus heftige Kritik äußerten sie aber so zurückhaltend, dass dies nicht einmal der zuständige Pressereferent des Bundestags in seiner Pressemitteilung als solche bemerkt hat. Nur Herr Kirchhoff von der Bundesvereinigung gegen Schienenlärm argumentierte politisch und technisch im Sinne der Bürger und schlug sich wacker. Er wurde aber leider nicht allzu oft gefragt. Staatsekretär Ferlemann, der gegenüber dem Ausschuss die Regierung vertrat, las meist in irgendwelchen Akten. Er musste ja auch nicht kämpfen, weil die Veranstaltung in seinem Sinne verlief.
Normalerweise hätte ich mich nun vielleicht zurückgelehnt und resignierend den Ablauf verfolgt oder wäre einfach gegangen. Aber es erwachte während der Befragung bei mir der technische Ehrgeiz als ehemaliger Informatiker. Ich wusste zwar bereits um die wesentlichen technischen Schwächen der neue Schall03, aber der Umgang damit live im Ausschuss war doch noch mal was anderes.
Da wird eine internationale Norm einfach mal ein wenig modifiziert, um die Dezibel zu drücken. Begründung: Fehlanzeige. Es gibt nach wie vor keine Regelung für nächtliche Spitzenpegel, obwohl man weiß, dass gerade diese sehr gesundheitsschädlich sind. Begründung: Fehlanzeige. Der für eine verlässliche Berechnung äußerst wichtige durchschnittliche Zustand der Gleise ist nicht klar definiert. Begründung: Fehlanzeige. Wichtige Emissionsquellen wie z.B. Weichen werden nur unzureichend berücksichtigt. Begründung: Fehlanzeige. Die Lärm-Ausbreitungsrechnung erfolgt weiterhin bahnspezifisch, obwohl es geboten wäre, einen mit dem Straßenverkehr gemeinsamen Algorithmus anzuwenden. So kann es z.B. passieren, dass am gleichen Ort bei gleicher Lärmemission unterschiedlich Ergebnisse herauskommen. Begründung: Fehlanzeige, usw. (siehe die umfangreiche Kritikliste in den Stellungnahmen der Experten).
Am schlimmsten aber empfinde ich die Missachtung von ingenieurtechnischen Verfahrensregeln und die mangelnde Transparenz des Verfahrens. Eine saubere, unabhängige Qualitätssicherung, wie es Stand der Technik ist, soll es offensichtlich nicht geben. Dabei sind die neuen Regelungen so komplex , dass sie für die Bürger nicht mehr nachvollziehbar sind (im Gegensatz zur alten Schall03). Stattdessen müssen die Bürger sich voll auf die Software verlassen. Es kann offensichtlich nach Meinung des Experten Probst sogar passieren, dass die Ergebnisse je nach verwendeter Software verschieden sind. Alleine damit ist die vom EBA so stark gepriesene Rechtssicherheit schon wieder dahin. Betroffene Bürger sollen sich blind darauf verlassen, dass die von der Bahn AG kommenden, komplexen Eingabeparameter der Realität entsprechen und korrekt eingegeben werden. Eine unabhängige Verifikation z.B. durch Messungen in der Praxis, wie es in anderen Ländern ganz selbstverständlich üblich ist, ist nicht vorgesehen. Auch eine gründliche vergleichende Verifikation der Ergebnisse der bisherigen Schall03 mit der neuen Verordnung gibt es anscheinend nicht. Auch das immer wieder vorgebrachte Argument, dass nur mit der neuen Vorschrift innovativer Schallschutz möglich werde, ist für mich nicht nachvollziehbar. Jede neue Schallschutztechnik konnte auch bisher schon zugelassen werden. Dafür gibt es schließlich schon seit langem ein Zulassungsverfahren beim EBA.
Fazit: Die Verordnung ist nicht einmal rein technisch auf der Höhe der Zeit. Wird diese Verordnung ohne Behebung der wesentlichen Mängel verabschiedet, ist die Rechtssicherheit nicht größer als bisher sondern kleiner. Die Kritikpunkte der Experten und das Wortprotokoll der Sitzung sind sicherlich eine Fundgrube für künftige Klagen.
Vor diesem Hintergrund darf sich die Bundesregierung nicht wundern, wenn der Verdacht entsteht, dass die neue Vorschrift nur deshalb plötzlich so rasch verabschiedet werden soll, damit das EBA und die Bahn AG gegenüber den betroffenen Anwohnern weiterhin alle Trümpfe in der Hand behalten können und insbesondere die Abschaffung des Schienenbonus kompensiert werden soll.
Wir Anlieger hätten jedenfalls kein Problem damit, für einige Zeit noch mit der alten Schall03 zu leben, allerdings natürlich ohne Anwendung des abgeschafften Schienenbonus. Sollte diese Verordnung so durchgehen, stellt sich einmal mehr die Frage, ob wir nicht mit anderen Mitteln besser weiterkommen. Unser Staat ist nach dem Grundgesetz verpflichtet, unsere körperliche Unversehrtheit zu schützen und alle Menschen gleich zu behandeln. Wenn die Politik ständig versagt, braucht es vielleicht andere Mittel. Unsere Geduld geht allmählich zu Ende.
Weitere Informationen:
Drucksache mit dem Entwurf der neuen Schall03
Tagesordnung mit den teilnehmenden Experten
Stellungnahmen der Sachverständigen
Pressemitteilung des Bundestags