In der Politik kommt der Schutz vor Bahnlärm bisher bekanntlich nur sehr schleppend voran. Dafür bekommen aber die geplagte Anwohner nun immer öfter Unterstützung durch Gerichte. Eine regelrechte Serie von Urteilen schafft möglicherweise eine neue Situation. Die Gerichte scheuen sogar nicht mehr davor zurück, Maßnahmen einzufordern , die bisher rechtlich als unmöglich galten.

Manche Urteile sind auch auch auf den Straßenlärm übertragbar. Im folgenden versuche ich einen Überblick zu geben mit besonderer Berücksichtigung der Relevanz auf unsere Situation in Leonberg und Umgebung.

  • Planfeststellungsverfahren in mehreren Abschnitten: Berücksichtigung von 'Fernwirkungen' auf Bereiche, welche nicht  unmittelbar von einer Baumaßnahme betroffen sind sowie Recht auf Übergangslösungen

    Das Bundesverwaltungsgericht hat dazu ein Grundsatzurteil im Zusammenhang mit der Bahnstrecke zwischen Oldenburg und dem Jade-Weser-Port gesprochen. Mitglieder der dortigen Bürgerinitiative hatten geklagt.  Das Urteil ist aber nicht nur auf andere Bahnstrecken, sondern auch auf Straßenvorhaben übertragbar. Hier bei uns betrifft dies die Ersatzautobahn Leonberg-West - Böblingen Hulb. Die Umsetzung dieser Maßnahme erfolgte bzw. erfolgt bekanntlich auch -ähnlich wie das Bahnprojekt in Oldenburg - in mehreren Abschnitten mit erheblichen zeitlichen Verzögerungen. So wurde der erste Abschnitt, der Bau der Anschlussstelle Leonberg West, bereits im Jahre 2001 planfestgestellt und danach gebaut. Danach erfolgte der  Neubau der B464 in Einzelabschnitten und nun soll der so genannte Lückenschluss das Projekt zum Abschluss bringen. Wann dies aber sein wird, steht in den Sternen.

    Das Gericht spricht u.a. von einer  'Schicksalsgemeinschaft' aller betroffenen Anlieger, d.h. Lärmschutz darf nicht nur streng abschnittsweise erfolgen, sondern es muss immer auch die Betroffenheit der Anlieger der Gesamtstrecke in die Überlegung einbezogen werden, d.h. die Fernwirkung über den Bereich der 'Baustelle' selbst hinaus. Dies geht sogar so weit, dass dann, wenn der Gesamtausbau lange dauert, Ansprüche auf 'Interimslösungen' bestehen, d.h. Anwohner müssen nicht warten, bis sie mit der Planfeststellung 'dran' sind, sondern können bereits übergangsweise zumindest Lärmschutzfenster erhalten.

    Somit könnte auch das aktuelle Projekt 'Entflechtungsstreifen A8/A81' von diesem Urteil betroffen sein, da dort die 'Fernwirkung' der höheren Verkehrsmenge auf die Stadt Leonberg zu berücksichtigen ist (Dies wird derzeit vom Regierungspräsidium ignoriert).

    Zu diesem Themenbereich wird es in Kürze ein Schreiben an das Regierungspräsidium geben, welches sich u.a. Auf dieses Urteil bezieht.

  • Anordnung von Betriebseinschränkungen wie z.B. Geschwindigkeitsbeschränkungen an Bahnstrecken aus Lärmschutzgründen

    Bisher waren solche Beschränkungen unmöglich. Es wurde immer auf das Eisenbahngesetz, welches so etwas nicht vorsieht, sowie auf das EU-Wettbewerbsrecht verwiesen.

    Nun  haben inzwischen mehrere Gerichte bestätigt, dass es doch möglich ist und dass solche Betriebseinschränkungen als Maßnahme in die Abwägung einfließen müssen, u.a. das Bundesverwaltungsgericht im o.g. Urteil zur Oldenburger Bahnstrecke. Ebenso das Oberverwaltungsgericht in Magdeburg. Dort haben Bürger von Biederitz gegen einen Planfeststellungsbeschluss geklagt. Auch in einem Urteil des Landgerichts München (s.u.) wurde dies bestätigt.

  • Anspruch auch bei Bestandsstrecken so wie bei Neubau

    Ein geradezu spektakuläres Urteil gibt es ganz aktuell aus München zu vermelden. Dort hat das Landgericht die Bahn verpflichtet, den Anliegern einer Bestandsstrecke im Grunde genommen den gleichen Schutz wie bei Neubaustrecken zu gewähren. Bemerkenswert ist, dass sich das Urteil rechtlich auf die Anspruchsnorm des § 906 BGB stützt. Deshalb hat sich mit der entsprechenden Klage auch nicht das Verwaltungsgericht befasst. Danach kann der Eigentümer die Zuführung von Geräusch von einem anderen Grundstück insoweit verbieten, als die Einwirkung die Benutzung seines Grundstückes wesentlich beeinträchtigt und dies nicht ortsüblich ist. Die Überschreitung ist in der Regel wesentlich, wenn die in Gesetzen oder Rechtsverordnungen festgelegten Grenzwerte überschritten werden.Nicht ganz so mutig war das Landgericht Bochum. Aber immerhin hat es die Bahn auch zu passivem  Lärmschutz (Lärmschutzfenster) an einer Bestandsstrecke verdonnert und auch dort werden die Grenzwerte für Neubaustrecken als Grundlage genommen.

    Im Grunde genommen wird somit die Bahn schlicht und einfach so wie ein 'normaler' Nachbar behandelt, der zu viel Lärm macht. Damit schafft das Gericht die bisherige Privilegierung der Bahn ab und damit die derzeitige Verwaltungspraxis. Das Gericht in München setzt sogar noch einen drauf: Es verdonnert die Bahn zu Schadensersatz.

    Interessant auch ein wichtiges Detail: Die Bahn konnte für die dortige Strecke keine Betriebserlaubnis beibringen. Hier spielt wohl auch die Tatsache eine Rolle, dass die Bahn AG ein privatwirtschaftliche organisiertes Unternehmen ist und damit wie jedes andere Unternehmen behandelt werden muss. 

    Die Bahn hat allerdings Berufung gegen das Münchner Urteil eingelegt und auch gegen das Bochumer Urteil wird dies erwartet, sobald die Urteilsbegründung vorliegt. Schließlich würde ein solcher Anspruch aller Bestandsstreckenanlieger die Bahn AG bzw. ihr Eigentümer, den Bund, sehr viel Geld kosten.

    Wir wären hier an unserer Strecke auch Nutznießer, denn die 59 db(A) des Klägers erreichen wir hier im Umkreis von ca. 100 m von der Bahnlinie auch. Die Strecke des Bochumer Urteils wird übrigens nach Angaben des Gerichtsgutachters von 61 Güterzügen pro Tag befahren. Das liegt durchaus in der Größenordnung unserer Strecke.

Fazit: Es wird in der nächsten Zeit sehr spannend. Wenn Gerichte nun so forsch ran gehen kann die Politik  nicht mehr tatenlos zusehen. Insbesondere auch deshalb, weil sich mit dem Thema Bahnlärm nicht mehr nur die Verwaltungsgerichte befassen, sondern auch die Zivilgerichte. Wenn die Politik nicht aufpasst, entgleitet ihr nun möglicherweise die Entscheidungshoheit  u.a. auch mit erheblichen finanziellen Folgen auf den Bundeshaushalt. Zumal uns noch eine weitere 'Waffe' der Justiz offen steht: Das Bundesverfassungsgericht über den Artikel 2 des Grundgesetzes 'körperliche Unversehrtheit'.  Da wir Gott sei Dank eine unabhängige Justiz in unserem Lande haben, bin ich nun zuversichtlich, dass wir in den nächsten Jahren deutlich vorwärts kommen werden. Es geht nun wohl kein Weg mehr daran vorbei, die Lärmgesetzgebung grundlegend an die jetzige Zeit anzupassen.

Links:

Urteil des BVerwG zum Fall in  Oldenburg

Urteil OVG Magdeburg

           Dazu noch Wertung des Anwalts und Wertung des Sachverständigen

Urteil Bochum/Hamm (bisher nur Presseartikel)

Urteil Landgericht München (bisher nur Pressemitteilung des Anwalts)